26 Jahre nach Todesfall: Polizei nimmt Ermittlungen wieder auf - Von Michael Krüger

Warum starb Kai Jonas?

Wie kam Kai Jonas 1993 auf die Bahngleise, wo er starb? Diese Frage beschäftigt wieder die Polizei Rotenburg. Foto: Andreas Schultz
 ©Rotenburger Rundschau


Rotenburg. Kai Jonas stirbt am frühen Morgen des 14. August 1993. Er wird in Sottrum von einem Zug überfahren. Die Ermittler stehen damals vor einem Rätsel, schließen die Akte aber nach einigen Wochen wieder. Das Ergebnis: mit hoher Wahrscheinlichkeit Suizid. 26 Jahre später wird der Fall neu aufgerollt. Die Polizei spricht von Ungereimtheiten. Gibt es womöglich doch einen Täter? Oder war es vielleicht ein Unglücksfall?

Richard Kaufmann und sein Team haben bislang jeden Fall aufgeklärt. Der Leiter des Fachkommissariats 1 der Rotenburger Kriminalpolizei hat zu jedem Tötungsdelikt in der Region einen Täter gefunden, und das soll auch so bleiben. Da es keine aktuellen Fälle gibt, haben die Ermittler in den „Cold Cases“ gestöbert – den ungelösten Vorfällen vergangener Jahrzehnte.
Dort sind sie auf den von Kai Jonas gestoßen. 1993 wurde die Akte eigentlich geschlossen, bis 2024 soll sie aufbewahrt bleiben, so die staatsanwaltliche Anordnung. Jetzt liegt die rote Mappe mit den Ermittlungsergebnissen auf dem Schreibtisch von Kaufmann. „Das Ergebnis von damals, Suizid, soll aus heutiger Sicht noch einmal betrachtet werden“, sagt der 57-Jährige – ohne seinen Kollegen von einst einen Vorwurf machen zu wollen. Moderne Kriminaltechnik biete mittlerweile ganz andere Möglichkeiten. Dass sich der junge Mann damals selbst auf die Gleise gelegt haben soll, passe einfach nicht. Auch wenn bislang konkrete Beweise für einen anderen Hergang fehlten, ermittelt Kaufmann wieder. Denn: „Es gibt auch keine eindeutigen Indizien, die für einen Suizid sprechen.“
Es ist eine warme Hochsommernacht, als in Hellwege am 13. August 1993 gefeiert wird. Die Landjugend hat zur Zeltfete geladen, auch der Ahauser Kai Jonas ist dabei und macht Party. Das eine oder andere Getränk fließt, gegen 3 Uhr verlässt der 20-jährige Berufsschüler die Party zu Fuß. Er macht sich auf den Weg nach Sottrum, vermutet die Polizei. Doch dort kommt er nicht an. Ein paar hundert Meter vor dem mutmaßlichen Ziel stirbt Kai Jonas auf den Schienen der Bahnlinie nach Hamburg, an der Brücke der Landstraße nach Hellwege, auf Höhe des Riege-Sees.
Am Samstagmorgen schlägt ein Zugfahrer der Bundesbahn Alarm. In Sottrum habe er im Vorbeifahren auf den Schienen einen Torso gesehen. Tatsächlich finden Polizeibeamte entlang der Schienen Leichenteile – in den Ermittlungsakten ist die Uhrzeit 6.21 Uhr notiert. Es ist unklar, wie er auf die Schienen kam, und vor allem: Warum? Es gab keinen Abschiedsbrief, es gab keinen Streit, es gab keine Krankheit, Schulden oder irgendeinen anderen der üblichen offensichtlichen Gründe, aus denen Menschen Suizid begehen. Auch war, das ergibt die Obduktion, Jonas nicht dermaßen alkoholisiert, als dass er von alleine von der Brücke auf die Schienen hätte fallen können. Was die Obduktion ergibt: Jonas hat noch gelebt, als er vom Zug erfasst wurde.
Ob er da bereits bewusstlos war, ob er sich selbst auf die Schienen gelegt hat oder ob nachgeholfen wurde, ist unklar. Und unklar ist auch noch einiges andere. „Kai wurde ohne Jeans gefunden!“, heißt es zum Beispiel auf einem Flugblatt, das die Familie mit Freunden nach dem Vorfall verteilen lässt, um Hinweise zu erhalten. Die dunkel-grüne Jeans sei verschwunden. Wurde sie vom Zug mitgerissen oder bewusst entsorgt, hätten sich an ihr Spuren einer wie auch immer gearteten Tat finden lassen können? Es bleiben so viele Fragen offen.
Auch diese: Was wollte Kai Jonas eigentlich nach der Party in Sottrum? „Er hatte da gar keine Freundin oder Bekannte, zu der er nachts hätte gehen können“, sagt eine gute Freundin von damals. Und wenn es auf der Brücke mit irgendwem Streit gegeben hätte, wäre er dem aus dem Weg gegangen – „wie immer“. Kai Jonas sei ein „Kumpeltyp“ gewesen, keiner, der provoziert hat. Eine handfeste Auseinandersetzung, die zum Sturz auf die Gleise hätte führen können, halten die alten Freunde für abwegig. Für die Familie ist darüber hinaus immer klar, dass es kein Suizid war. Für die Angehörigen war es ein Unfall mit vielen Fragezeichen, heißt es. Irgendwie mussten die Eltern und die Schwester lernen, mit dem Vorfall zu leben. Dass nun nach 26 Jahren alles wieder hervorgekramt wird, sei Sache der Polizei. Man selbst wolle sich aber nicht mehr in der Öffentlichkeit zur Sache äußern, sagt die Mutter auf Nachfrage.
Die zuständige Staatsanwaltschaft in Verden prüft derzeit die Akten, ob sie ein neues Ermittlungsverfahren einleiten wird. Kriminalist Kaufmann und sein Team haben einige Anhaltspunkte gesammelt, die sie stutzig machen und den Fall wieder zu einem werden lassen könnten. Und jeder, mit dem Kaufmann in der Zwischenzeit in der Region Sottrum gesprochen habe, wisse sofort, worum es geht. „Die Geschichte ist noch in aller Munde.“ Der Erste Kriminalhauptkommissar hofft deswegen, dass wieder gesprochen wird. Auch von denen, die sich auch nach so langer Zeit vielleicht noch erinnern. Zu wem hatte Kai Jonas damals und speziell in der Nacht seines Todes Kontakt? Gab es Streit? Vielleicht, so hofft Kaufmann, hätten die vergangenen Jahre dazu beigetragen, dass doch noch jemand über einen Vorfall in dieser Nacht gesprochen hat. Kursieren Geschichten über einen Unfall oder gar eine gezielte Tat? Wollte irgendwann jemand seinem schlechten Gewissen Luft machen?
Kriminalhauptkommissar Kaufmann steht ganz am Anfang der Geschichte. Wohin sie führt, weiß er nicht. Was er sich und natürlich der Familie wünscht, ist Klarheit. Dabei gilt es zu bedenken, dass alle Taten außer Mord verjährt wären. Doch das spielt derzeit keine Rolle. „Es gibt einen Anfangsverdacht“, heißt es. Kaufmanns Ziel ist Gewissheit über den Vorfall.
An einen Suizid glaubt er nicht mehr – sonst läge die Akte nicht auf seinem Tisch. Wer Hinweise geben kann, die in Zusammenhang mit dem Tod von Kai Jonas am 14. August 1993 stehen könnten, sollte sich bei der Polizei in Rotenburg unter der Nummer 04261 / 9470 melden.

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